Verurteilung wegen eines Gebetes und der Fürbitte für "Schwerbedrängte";

ein Lesetext mit verteilten Rollen

 
  (Erzähler 3)

Der Berliner Dompropst Bernhard Lichtenberg (1875-1943), der sich als Leiter des "Hilfswerks beim Bischöflichen Ordinariat Berlin" sowie im öffentlichen Gebet für die verfolgten Juden eingesetzt hatte, ist von der berühmten israelischen Gedenkstätte Yad Vashem im Jahr 2004 postum mit dem Titel "Gerechter unter den Völkern" geehrt worden. Warum ?(Gegen jeden Hass) Rückblende:

ERZÄHLER (E 1)

Oktober 1941. Die Regierungspartei Hitlers, die NSDAP, lässt an alle Berliner Haushalte ein Flugblatt verteilen. Darin steht, die Juden wollten den Deutschen ans Leben. Niemand dürfe ihnen nunmehr freundlich oder gar mitleidsvoll begegnen. Hass sei geboten. Dompropst Lichtenberg diktiert seiner Mitarbeiterin ein Gegenpapier:

BERNHARD LICHTENBERG (BL)

"Lasst Euch durch diese unchristliche Gesinnung nicht beirren, sondern handelt nach dem Gebot Christi: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst."

E 1

Doch Schwester Stephana versucht sofort, ihm die Folgen klar zu machen, wie sie später berichtet. Sie hat Angst um ihn, denn dafür konnte er ins Gefängnis kommen. Dem Dompropst ist das bewusst. Er erwidert ihr :

BL

"Vielleicht wird es auch mir an den Kragen gehen, dann gehe ich halt ins Gefängnis. Aber wenn wir Priester schweigen, werden die Menschen ja ganz irre und wissen nicht mehr, woran sie sind. Wir Priester sind keine stummen Hunde!"

E 1

Zur geplanten Kanzelvermeldung des diktierten Textes kommt es nicht mehr. Drei Tage vor der Vermeldung, am 23. Oktober 1941, wird Lichtenberg aufgrund einer hinterhältigen Anzeige von der Gestapo verhaftet. Im Verhör wird ihm kriegsfeindliche "Propaganda" während einer Abendandacht in der St. Hedwigs-Kathedrale vorgeworfen:

Gestapomann

"Sie sollen in der Gebetsstunde am Freitag, dem 29. August 1941, folgende Äußerung getan haben:

BL

"Wir beten für die Juden, wir beten für die Gefangenen in den Konzentrationslagern..."

E 1

Lichtenberg steht dazu:

BL

"Ich bete jeden Abend mit meiner Gemeinde für die schwerbedrängten nichtarischen Christen, für die Juden, für die Gefangenen in den Konzentrationslagern, zumal für die gefangenen Priester und Ordensleute, für die zu Unglauben, zur Verzweiflung und zum Selbstmord versuchten Menschen, für die kämpfenden, verwundeten und sterbenden Soldaten hüben und drüben, für die bombardierten Städte in Freundes- und Feindesland..."

(Für die Juden) E 1

Bereits am Morgen nach der Reichspogromnacht am 9. November 1938 hatte der Dompropst angesichts der in Flammen stehenden Synagoge erklärt:

BL

"Draußen brennt der Tempel. Das ist auch ein Gotteshaus!"

E 1

Anhand der Verhörprotokolle wird deutlich: Im Prozess ging es immer wieder um ein solch öffentliches Eintreten für die Juden. Lichtenberg erklärt vor Gericht, dass er die Evakuierung der Juden mit all ihren Begleiterscheinungen innerlich ablehne, BL "denn ich erkenne auch im Juden meinen Nächsten, der eine unsterbliche, nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffene Seele besitzt. Da ich aber diese Regierungsverfügung nicht verhindern kann, war ich entschlossen, deportierte Juden und Judenchristen in die Verbannung zu begleiten, um ihnen dort als Seelsorger zu dienen."

E 1

Die Gestapo hat diese Bitte Lichtenbergs, als Lagerseelsorger eingesetzt zu werden, allerdings nie ernsthaft in Erwägung gezogen.

(Stichwort: Mit allen Konsequenzen)

Für Lichtenberg hatte sein an der Lehre der Kirche geschultes Gewissen Vorrang vor allem anderen:

BL

"Wenn sich die Maßnahmen und Verfügungen der Regierung gegen die Lehre des Christentums und damit gegen mein priesterliches Gewissen richtet, werde ich meinem Gewissen folgen und alle Konsequenzen in Kauf nehmen, die sich daraus für mich persönlich ergeben."

E 1

Wolfgang Haendly - er war bei Lichtenberg junger Kaplan an der St. Hedwigs-Kathedrale - sagte später über seinen damaligen Vorgesetzten:

Haendly

"Er war frei von aller Menschenfurcht.

Er ging im Priestergewand die "Straße unter den Linden" entlang und betete dabei das Brevier. Mit diesem vielleicht provozierenden, aber frei gewählten Auftreten hat er ausgedrückt, was für ihn maßgebend war : es gilt allein der Anspruch Gottes."

(Stichwort: Bis in den Tod) E 1

Am 22. Mai 1942 wurde Lichtenberg wegen "Kanzelmissbrauchs" und Vergehens gegen das "Heimtückegesetz" vom Landgericht Berlin-Lichtenberg zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Nach der Haft ordnete man gegen das geltende Recht den Transport ins Konzentrationslager Dachau an, denn er bleibe "unverbesserlich", so heißt es in den Akten. Obwohl er eine Herzkrankheit hatte und schwer an einer dauerhaften Nierenentzündung litt, wurde der Dompropst in Ketten gefesselt zusammen mit anderen Gefangenen in einen Viehwagen verladen.

Kurze PAUSE - DANN E 1

Auf dem Transport in das Konzentrationslager Dachau verstarb Bernhard Lichtenberg am 5. November 1943 in Hof an der Saale.

Seine Seligsprechung als Märtyrer wurde 1996 vom Vatikan ausgesprochen.

Anderer E (E 2)

Über die Bedeutung der Männer und Frauen, die wie Lichtenberg bereit waren, für ihre Überzeugung zu leben und zu sterben, sagte Papst Johannes Paul II. im Jahr 1996: "Diese leuchtenden Gestalten der Kirche haben durch ihr opferbereites Zeugnis für Christus und für die wahre Größe des Menschen das grausame Dunkel einer ganzen Geschichtsperiode erhellt. Sie stehen zugleich für all jene im deutschen Volk, die nicht bereit gewesen sind, sich der menschenverachtenden Tyrannei des Nationalsozialismus zu beugen."

 
 

(gekürzter Artikel aus: Katholische Sonntagszeitung, Berlin, 7.11.2004)